Letztens habe ich mit Kommilitoninnen über die Externalisierung von Umweltschäden diskutiert. Dabei kamen mir PFAS in den Sinn, ein Beispiel wo Externalisierung nicht funktioniert.
Wie allgemein üblich wusste niemand was PFAS sind.1 Das liegt in Europa sicherlich auch daran, dass die Chemielobby regelmäßig ganze Arbeit leistet und wir keinen so bekannten fall wie DuPont Washington Works2 haben. Auch wenn schon viel dazu Geschrieben wurde, hier der Versuch einen kurzen und leichten Einstieg ins Thema zu geben, damit mehr Leute davon wissen.
Allgemeines
PFAS (Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen) ist eine Gruppe von Ewigkeitschemikalien. Einige aus dieser Gruppe, wie PFOA (aka C8), sind nachgewiesen toxisch, andere sind Verdachtsfälle. Sie sind nicht natürlich, zur Herstellung muss mindestens ein Wasseratom eines Kohlenstoffs durch Flour ersetzt werden. Trotzdem finden sich bereits überall. Fun!
Die Geschichte von PFAS beginnt mit der Suche nach nicht-toxischen Kältemitteln für Kühlschränke, die letztlich zur Entwicklung von Fluorchlorkohlenwasserstoffen (FCKW) führte – ein ökologisches Desaster für die Ozonschicht. Im Zuge weiterer Forschung wurde Polytetrafluorethylen (PTFE) zufällig entdeckt, besser bekannt unter dem Markennamen Teflon. Dies wurde schnell zur Antihaftbeschichtung für Kochgeschirr. Heute finden PFAS breite Anwendung, insbesondere dort, wo geringe Haftung oder Wasserabweisung gewünscht sind. Beispiele sind:
- Wasserabweisende, atmungsaktive Textilien wie GoreTex™ oder Regenjacken
- Kochutensilien wie Pfannen und Auflaufformen
- Skiwachse
- Kosmetika
- Feuerlöschschaum
- Lebensmittelverpackungen, Bambus- und Papiertrinkhalme
- …und vieles mehr!
Wenn die Toxizität einer PFAS-Variante nachgewiesen wird, stoppt die Produktion oft erst nach juristischen Auseinandersetzungen. Dann wird in der Regel einfach auf eine andere Variante umgestellt. So stellte DuPont beispielsweise PFOA (C8) ein, “zufälligerweise” wurde die Produktion einer neue Variante (GENX) begonnen, die nun von einem Subunternehmen hergestellt wird.
Medienberichte zur Geschichte
- NY Times: The Lawyer Who Became DuPont’s Worst Nightmare
- Vergiftete Wahrheit (2019) – IMDb
- Vergiftet – Die Macht der Chemielobby | ARD Mediathek
Probleme
PFAS sind äußerst stabil und zerfallen in der Natur kaum – daher der Name “Ewigkeitschemikalien”. Sie verbreiten sich leicht in Wasser und Luft und reichern sich in Organismen an (Bioakkumulation). Inzwischen enthalten alle untersuchten Menschen weltweit PFAS. PFOA ist nachweislich krebserregend,3 andere PFAS stehen unter Verdacht, ähnlich gefährlich zu sein.4
Gesundheitsrisiken bei höheren Konzentrationen
- Krebs!
- Unfruchtbarkeit
- Schwächung des Immunsystems
- Impfungen funktionieren nicht mehr
- angeborene Fehlbildungen (Englisch: „Birth-Defects“)
In Deutschland gelten laut Trinkwasserverordnung Grenzen von 100 ng/L für PFAS-20 und 20 ng/L für PFAS-4.5 Für Badewasser gilt in Dänemark eine Grenze von 40ng/L, Deutschland hat keine.
PFAS-20 ist dabei keine spezifische Stoffgruppe, eher eine Art Messekategorie: Es ist die Summe der Nanogramm (ng) der in der EU-Trinkwasserrichtlinie aufgeführten 20 PFAS.6 PFAS-4 funktioniert auch als Summe, nur sind es 4 besonders toxische Stoffe (PFOS, PFOA, PFNA, PFHxS), darum auch der niedrigere Wert.7 Problem: Stoffe, deren Toxizität noch nicht gut genug erforscht sind, tauchen hier gegebenenfalls in der etwas laxen PFAS-20 Liste, oder gar nicht auf.
Zur Einordnung: Es gibt rund 10.000 verschiedene PFAS. Eine Milliarde (1.000.000.000) Nanogramm ergeben ein Gramm. Wir reden also auch quantitativ über absurde Dimensionen.
Der Greenpeace Report zu PFAS im Meerschaum8 gibt etwas Aufschluss über Grenzwerte in Meerwasser:
Für PFOS gelten im Rahmen der Oberflächengewässerverordnung (OGeWV) Umweltqualitätsnormen für Küstengewässer mit einem jährlichen durchschnittlichen Umweltqualitätsstandard (JD-UQN) von 0,13 ng/L und einer maximal zulässigen Konzentration (ZHK-UQN) von 7.200 ng/L.
Dabei sind Grenzwertüberschreitungen sind keine Seltenheit, im Foreverpollution Projekt (2023) wurden viele gefunden und auch Greenpeace hat ende 2024 erneut hohe Konzentrationen gemessen. Einige Beispiele (Erinnerung: Grenzwerte sind 100 ng/L für PFAS-20 und 20 ng/L für PFAS-4):
- Sediment der Elbe in Meißen (2021): 2.586 ng/kg
- Meeresschaum auf Sylt (2024): 96.000 ng/L
- US-Flugplatz Spangdahlem (2019): 120.000 ng/kg
- Meeresschaum Ostseebad Kühlungsborn (2025): 160.000 ng/L
Militärbasen sind erschreckend häufig durch die Verwendung von PFAS haltigen Löschmitteln hoffnungslos verseucht, doch auch andere Flächen wo Großbrände gelöscht wurden sind belastet. Die Sanierungskosten für solche Gebiete bewegen sich im Milliardenbereich.9
Medienberichte zu Problemen
- 4.10.2021 PFAS – Last Week Tonight | YouTube
- Fokus auf die USA und Du Pont, aber sehr leichte Einführung ins Thema
- 23.2.2023 Wo das Jahrhundertgift PFAS Deutschland verschmutzt | tagesschau.de
- “jahrhundertgift” ist irreführend, PFAS überleben Jahrtausende (plural!)
- mit Karte von Messwerten für Deutschland. Über 1500 Orte sind bereits verseucht
- 23.1.2025 Trump’s halting of EPA limits on PFAS in drinking water – CBS New York
- interactive map: https://geonarrative.usgs.gov/
- Smalling, Kelly L., u. a. „Per- and polyfluoroalkyl substances (PFAS) in United States tapwater: Comparison of underserved private-well and public-supply exposures and associated health implications“. Environment International, Bd. 178, August 2023, S. 108033. ScienceDirect.
- 3.2.2025: PFAS in der Ostsee | Tagesschau
- 4000-Fach grenzüberschreitende Werte
- Vermutlich Anreicherung in Schaum weil PFAS Tenside sind (also Wasserabweisend)
- Deutschland hängt in der Regulierung hinterher (Siehe 14.1.2025, Chemielobby)
- Unternehmen produzieren munter weiter und leiten PFAS in den Rhein
Ausblick für die Zukunft
PFAS heißen nicht ohne Grund “Forever Chemicals”, das Problem ist gekommen um zu bleiben. Hoffnungsschimmer wie Bakterien, die PFAS unter Laborbedingungen abbauen können, sind bisher keine realistischen Lösungen. Daher müssen wir uns auf präventive Maßnahmen konzentrieren:
- Ein generelles Verbot von PFAS in Endverbraucherprodukten
- Strenge Grenzwerte und effektive Kontrollen
Die Herausforderungen, die PFAS mit sich bringen, sind gewaltig. Sie erfordern entschlossenes Handeln seitens der Politik und ein Umdenken in der Industrie und Gesellschaft. Nur so können wir diese unsichtbare Gefahr eindämmen. Leider ist das nicht zu Beobachten. Erst diesen Januar brachte eine Investigativrecherche von NDR/WDR10 ans Licht, wie intensiv die Lobbyarbeit der Chemielobby in der EU ist und wie gut sie auch beim vermeintlich Grünen Wirtschaftsminister Habeck wirkt.
Bis es vernünftige Lösungen gibt, kannst du einige Dinge tun, um dich nicht unnötig PFAS auszusetzen:
- Reduktion tierischer Lebensmittel, besonders aus belasteten Gebieten
- Nicht in der Pfanne kratzen, nicht ohne Inhalt erhitzen
- Vermeidung direkter Exposition
- kein Baden in belasteten Gewässern
- Vorsicht vor PFAS-haltigem Schaum: Aerosole!
- Impregnierspray lieber lassen und wenn doch: NICHT EINATMEN!
Diskussion
Feedback? Anmerkungen? Hinweise? Lass mich davon wissen! Am besten als Kommentar auf Mastodon:
- Berthold, T. Allen, et al. ‘Let’s Talk about PFAS: Inconsistent Public Awareness about PFAS and Its Sources in the United States’. PLOS ONE, vol. 18, no. 11, Nov. 2023, p. e0294134. PubMed Central. ↩︎
- ‘Washington Works’. Wikipedia. Zugriff 5 Februar. 2025. ↩︎
- PFAS Exposure and Risk of Cancer – NCI. 15. Oktober 2020, https://dceg.cancer.gov/. Mirror: Webarchive ↩︎
- Zahm, Shelia, u. a. „Carcinogenicity of Perfluorooctanoic Acid and Perfluorooctanesulfonic Acid“. The Lancet Oncology, Bd. 25, Nr. 1, Januar 2024, S. 16–17. DOI.org (Crossref). ↩︎
- Mönning, Sandra. „PF-Was? Begriffserklärung“. Umweltbundesamt, 30. November 2023, https://www.umweltbundesamt.de ↩︎
- RICHTLINIE (EU) 2020/2184 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch (Neufassung). 16. Dezember 2020. Seite 53, https://eur-lex.europa.eu/ ↩︎
- PFAS in Lebensmitteln: Risikobewertung und Festlegung einer tolerierbaren Aufnahmemenge durch die EFSA. 17. September 2020, https://www.efsa.europa.eu/. ↩︎
- Kontchou, Julios. Untersuchung von per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen (PFAS) im Meeresschaum an Nord- und Ostsee-Stränden in Deutschland. Greenpeace e.V. 2025. https://www.greenpeace.de/ ↩︎
- NDR/WDR, Lea Busch, Daniel Drepper, Johannes Edelhoff, Catharina Felke, Jana Heck, Nándor Hulverscheidt, Sarah Pilz und Luzius Zöller. ‘Drohende Milliarden-Kosten wegen PFAS-Verschmutzung’. tagesschau.de. Zugriff 5 Februar 2025. ↩︎
- NDR/WDR, Lea Busch, Daniel Drepper, Johannes Edelhoff, Catharina Felke, Jana Heck und Sarah Pilz. ‘Kampf um PFAS: Wie Habeck der Chemie-Lobby auf den Leim geht’. tagesschau.de. Zugriff 5 Februar 2025. ↩︎